Eine Bestandsaufnahme des Schicksals einer alleinerziehenden Mutter in Kassel.

Am Montag, 22. Januar 2024 traf ich mich mit Saeima „Sami“ Kazemi, um mit ihr über die Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate zu sprechen.

Einige werden Sami von unserem letzten Netzwerk Nordhessen Event, der Mall of Fame, kennen. Dort hat sie, gemeinsam mit Michael Geymeier von der Heilsarmee, uns und unsere Besucher liebevoll und gekonnt bekocht und durch ihre sympathische Art neue Freunde gewonnen.

Andere kennen Sami aus der Presse. Dabei waren die Gründe eher weniger erfreulich, stand doch jeweils ein Verlust am Ende. Erst verlor sie mit der Gaststätte Bierhimmel ihre Existenzgrundlage und vorletzte Woche dann auch ihre Wohnung, welche seitens der Stadt Kassel bei eisiger Kälte geräumt wurde.

Dieses Interview soll nicht dazu dienen, Schuldzuweisungen vorzunehmen. Sami weiß, dass sie vieles falsch gemacht hat. Dennoch sind wir der Ansicht, dass man auch seitens der KROMBACHER BRAUEREI und der Stadt Kassel einiges hätte anders lösen können. Aber lassen wir Sami selbst zu Wort kommen:

 

Netzwerk Nordhessen:

Hallo Sami, stelle dich doch bitte zunächst mal kurz vor. Wie alt bist du, wo bist du geboren, seit wann lebst du in Deutschland, wie ist dein Familienstand?

Sami:

Ich bin in Afghanistan geboren und 1987 mit meinen Eltern und Geschwistern aufgrund des Krieges in meiner Heimat nach Deutschland geflohen. Ich bin 43 Jahre alt, habe hier einen Iraner geheiratet und bin seit 5 Jahren geschieden. Seitdem bin ich alleinerziehende Mutter von drei Kindern im Alter von 12, 15 und 20 Jahren.

Netzwerk Nordhessen:

Hast du noch Kontakt zu deinem Ex-Mann, kümmert er sich um eure Kinder?

Sami:

Nein. Er ist am Wohlergehen unserer Kinder nicht interessiert. Er zahlt auch keinen Unterhalt, sondern hat mich einfach im Stich gelassen.

Netzwerk Nordhessen:

Hast du eine abgeschlossene Berufsausbildung, einen Schulabschluss?

Sami:

Ich konnte hier in Deutschland glücklicherweise meinen Realschulabschluss machen. Aufgrund dessen, dass ich mit 3 Kindern allein dastand, musste ich nach der Schule gleich ins kalte Wasser springen und arbeiten, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Demzufolge habe ich keine Berufsausbildung. Gearbeitet habe ich eigentlich immer, sei es in der Gastronomie, oder als Aushilfe im Büro. Eine Zeit lang habe ich auch geputzt.

Netzwerk Nordhessen:

Was deine beruflichen Aktivitäten anbelangt, so ist mir deine Zeit im „Bierhimmel“ am Entenanger bekannt. Über deine Situation wurde ja auch in der Presse berichtet. Was ist geschehen?

Sami:

Oh ja, das ist ein weiteres trauriges Kapitel in meinem Leben. Dabei fing alles so vielversprechend an…

Netzwerk Nordhessen:

Dann erzähl mal, wie es zum Ein- und Ausstieg in diesem Lokal gekommen ist.

Sami:

Mir fiel auf, dass die Gaststätte über längere Zeit leer stand. Ich glaube, es waren so ca. 9 Monate. Irgendwann habe ich all meinen Mut zusammengenommen und versucht, eine Existenz für meine Kinder und mich aufzubauen. So habe ich Kontakt zu dem Vermieter, der KROMBACHER Brauerei aufgenommen und meinen Willen zur Übernahme des Bierhimmels am Entenanger bekundet.

Netzwerk Nordhessen:

Du bist sozusagen ins kalte Wasser gesprungen, denn Erfahrungen als Selbständige hattest du ja bislang keine.

Sami:

Das stimmt. Ich wusste weder, was auf mich zukommt, noch hatte ich Eigenkapital. Zudem musste ich durch den langen Leerstand des Lokals neues Stammpublikum aufbauen. Gerade als es so halbwegs anfing zu laufen, kam der richtige Einschlag: Die Pandemie. Ich musste wie all die anderen Gastronomen schließen und wusste nicht, wie’s weitergeht.

Netzwerk Nordhessen:

Das heißt, du hast im Dezember 2019 den Bierhimmel eröffnet und musstest wenige Monate später schon wieder unfreiwillig schließen?

Sami:

Ja, so war das leider. Es kam mir alles vor, wie ein schlechter Film mit mir in der Hauptrolle.

Netzwerk Nordhessen:

Ist dir dein Vermieter angesichts der unfreiwilligen Schließung entgegengekommen, hat er dich in der Pandemie unterstützt?

Sami:

Nein, eher im Gegenteil.

Netzwerk Nordhessen:

Das heißt, du hast dich in das Abenteuer Existenzgründung ohne Berater, Kapital und Ahnung gestürzt. Gab es denn niemand, der dir zu dieser Zeit geholfen hat?

Sami:

Doch, der Rainer Hahne hat sich bemüht, mir zu helfen. Er war zunächst eigentlich der Einzige. Später kam noch der Michael Geymeier von der Heilsarmee und ihr vom Netzwerk Nordhessen dazu, wofür ich sehr dankbar bin.

Netzwerk Nordhessen:

Was ist deines Erachtens konkret falsch gelaufen mit der KROMBACHER Brauerei?

Sami:

Leider waren sie nicht bereit, mir in der schweren Zeit entgegen zu kommen um eine gemeinsame Lösung zu finden.

Netzwerk Nordhessen:

Was würdest du Menschen mit auf den Weg geben, die vor einer ähnlichen Situation stehen, wie du bei der Übernahme des Bierhimmels?

Sami:

Das wichtigste ist, sich gut zu informieren und alle Eventualitäten abzuklopfen. Das gilt insbesondere dann, wenn es zu Verträgen und Vertragsbedingungen kommt. Da habe ich die größten Fehler gemacht und würde mich heute auf einen solchen Vertrag, wie ich ihn unterschrieben habe, niemals wieder einlassen. Vor allem die mündlichen Vereinbarungen sind mir zum Verhängnis geworden.

Netzwerk Nordhessen:

Was meinst du konkret damit?

Sami:

Mittlerweile weiß ich von anderen Gastronomen, dass Rückvergütungen hinsichtlich des Bierabsatzes normal sind. Mir wurde gesagt, dass ich dies nicht bekommen kann, dafür aber gelegentlich mal ein Fass Bier ohne Berechnung. Auch was Reparaturarbeiten und Mängel im Mietobjekt anbelangt, wäre ich heute schlauer und würde dies vertraglich zusichern lassen, damit solche Kosten nicht an mir hängen bleiben.

Netzwerk Nordhessen:

…und kurz nach der Eröffnung des Bierhimmels musstest du aufgrund der Pandemie schon wieder schließen.

Sami:

Richtig, das zog mir dann komplett den Boden unter den Füßen weg. Ich war nur noch verzweifelt. Sah ich doch, dass mein Traum zerplatzte und nicht nur dies, meine Schulden wuchsen immer weiter an.

Netzwerk Nordhessen:

Kein Entgegenkommen der Brauerei?

Sami:

Nein.

Netzwerk Nordhessen:

Hast du während der Pandemie Corona-Hilfen bekommen?

Sami:

Ja, zum Glück. Verteilt auf die Zeitdauer der Pandemie habe ich ca. 55.000,- € Unterstützung durch die verschiedenen Förderprogramme erhalten.

Netzwerk Nordhessen:

Das war angesichts der laufenden Kosten und ohne Einnahmen vermutlich eine gute und sehr wichtige Hilfe…

Sami:

Ja, das hat mich über die Zeit gebracht, aber nicht gerettet. Von diesem Geld gingen für Miete, Strom, Gas, Versicherungen usw. schon mehr als 25.000,- € nach und nach auch wieder weg. Kaum konnte ich wieder aufmachen, kam schon die nächste Corona-Welle und ich musste erneut schließen. Die Lage war verheerend, Planungssicherheit nicht gegeben.

Netzwerk Nordhessen:

Wie ging es dann weiter?

Sami:

Die Zeit war sehr hart, es gab 2021/22 im Grunde genommen kaum eine Perspektive. Als sich dann Ende 2022, Anfang 2023 die Lage entspannte, der Bierhimmel anfing zu laufen, ich mir ein Stammpublikum aufbaute, kam die Kündigung der KROMBACHER Brauerei. Auch der Einsatz von Rainer Hahne half da nichts mehr. Ich sollte raus und alle Verbindlichkeiten zahlen.

Netzwerk Nordhessen:

Kein Entgegenkommen, kein Vergleichsangebot seitens der Brauerei?

Sami:

Nein. Sie bestanden und bestehen auf die offene Pacht und haben mir den Vertrag fristlos gekündigt.

Netzwerk Nordhessen:

Was lernst du aus dieser Zeit und Situation? Dein Kapitel im Bierhimmel setzt sich ja im Grunde genommen aus eigenen Fehlern, sehr viel Pech und der unerbittlichen Härte im Geschäftsleben zusammen.

Sami:

Ich weiß, dass ich gerne Gäste bewirte. Dies mache ich voller Liebe und Leidenschaft. Ich weiß aber auch, dass mir zu einer erfolgreichen Geschäftsfrau wesentliche Grundlagen fehlen. Insbesondere dann, wenn es um Verträge und Vertragsrecht geht. Da muss und werde ich zukünftig Menschen hinzuziehen, die sich auskennen und es gut mit mir meinen.

Netzwerk Nordhessen:

Von diesen Menschen scheint es ja mittlerweile einige zu geben. Ich habe viel Solidarität wahrgenommen, die dir seit der Zwangsräumung deiner Wohnung vor wenigen Tagen entgegengebracht wurde.

Sami:

Ja. Ich bin so dankbar, dass sich Menschen für mein Schicksal interessieren und mir helfen wollen. Sie machen das einfach, opfern ihre Zeit, teilweise auch Geld und stehen an meiner Seite. Das rührt mich zu Tränen, dass es Menschen gibt, die so hilfsbereit und engagiert sind, obwohl sie keine Vorteile dadurch haben.

Netzwerk Nordhessen:

Das war auch mein Eindruck, als ich dem traurigen Schauspiel der Räumung beiwohnen konnte.

Sami:

Ja unglaublich, was Violetta Bock, Myriam Kaskel, Kai Boeddinghaus und die vielen anderen lieben Menschen für mich getan haben und auch weiterhin tun. Als ich in meiner Not Violetta kontaktiert habe, stand sie sofort bereit und hat geholfen. Dies ist für mich so unglaublich schön und aufbauend. Daraus ziehe ich auch die Kraft, weiter zu kämpfen, auch wenn die Lage noch so schlimm ist.

Netzwerk Nordhessen:

Nach dem Bierhimmel ergab sich eine neue Option für dich. Die Kantine des Staatstheaters.

Sami:

Später. Zunächst stand ich erstmal ohne Perspektive da und wusste nicht, wie ich den nächsten Tag bewältigen sollte. Ich musste aber stark sein, allein meiner Kinder wegen.

Netzwerk Nordhessen:

Als vormals Selbständige hast du auch kein Arbeitslosengeld 1 bekommen…

Sami:

Nein, denn ich hatte keinen Anspruch. Von Oktober 2022 bis Juni 2023 hatte ich gar keine Einnahmen und habe von geliehenem Geld von Freunden und Familie gelebt. Dadurch wurde mein Schuldenberg noch größer. Danach habe ich dann vom Jobcenter ALG II bekommen.

Netzwerk Nordhessen:

Wie ist deine Wohnsituation heute?

Sami:

Aktuell bin ich mit meinen Kindern in einer städtischen Notunterkunft untergebracht. Dies ist immer auf 4 Wochen befristet, dann muss ich mich melden und mitteilen, ob sich an meiner Situation etwas geändert hat.

Netzwerk Nordhessen:

Deine Zwangsräumung, einhergehend mit der Berichterstattung in HNA und Social Media, hat geteilte Reaktionen hervorgerufen. Einerseits eine Welle der Solidarität und des Mitgefühls, im Umkehrschluss gab es aber auch sehr kritische Stimmen. Wie nimmst du das wahr?

Sami:

Gerade über Social Media werde ich beschimpft und beleidigt – von Menschen, die ich nicht kenne und die mich nicht kennen. Das macht mich sehr traurig. Ich war betriebswirtschaftlich überfordert und habe vieles falsch gemacht, aber bin doch kein schlechter Mensch.

Netzwerk Nordhessen:

Nein, das bist du ganz sicher nicht. Der Verfall von Werten wie menschlicher Wärme, Solidarität, Zivilcourage und sozialen Engagement zieht sich leider wie ein roter Faden durch unsere Gesellschaft. Aus meiner Sicht, trägt hier die Politik einen maßgeblichen Teil bei, insbesondere die Partei, gegen die viele Menschen am vergangenem Samstag zurecht auf die Straße gegangen sind. Verfolgst du das, was gerade hier, aber auch in Nachbarländern passiert.

Sami:

(verlegend blickend und flüsternd) Ja, ich verfolge das. Am Samstag war ich auch auf der Demonstration. Ich sehe, dass viele Menschen in Not sind und nicht wissen wie sie ihren Alltag bewältigen können. Ich glaube, dass manche Menschen verzweifelt sind und falsche Schlüsse aus ihrer Lage ziehen.

Netzwerk Nordhessen:

Hast du selbst schon schlechte Erfahrung mit Rassismus und Ausländerfeindlichkeit gemacht?

Sami:

Ja natürlich. Welcher Mensch mit Migrationshintergrund hat das nicht? Es ist so alltäglich geworden, dass es eigentlich gar nicht mehr thematisiert wird.

Netzwerk Nordhessen:

Seit einiger Zeit betreibst du die Kantine des Staatstheaters. Wie gestaltet sich die Lage dort?

Sami:

Schwierig. Ich bin natürlich außerordentlich dankbar, dass sich mir diese Möglichkeit eröffnet hat. Ich arbeite sehr viel und versuche das Beste aus der Lage zu machen. Die Menschen im Theater sind unheimlich nett, meinen es gut mit mir und versuchen mich zu unterstützen. Insbesondere das Schauspielensemble, aber das weißt du ja bereits.

Netzwerk Nordhessen:

Ja, sehr erfreulich, was das Schauspiel-Ensemble versucht, für dich möglich zu machen. Aber auch die anderen, bereits in diesem Interview genannten, helfen dir fortwährend. Es ist auch für uns als Netzwerk ergreifend, wie viele Menschen doch bereit sind, sich uneigennützig für andere Menschen einzusetzen. Kann eigentlich jede Bürgerin, jeder Bürger der Stadt deine Kantine aufsuchen und dein leckeres Essen genießen?

Sami:

Nein, leider nicht. Dies ist eine Kantine ausschließlich für die Menschen, die im Staatstheater tätig sind.

Netzwerk Nordhessen:

Dein Tag im Theater beginnt ja schon recht früh und endet spät. Wieviel Stunden arbeitest du eigentlich am Tag?

Sami:

Das sind immer so 14-15 Stunden am Tag. Aber ich muss arbeiten, arbeiten, arbeiten. Ich möchte die Menschen, die sich so für mich einsetzen, nicht enttäuschen.

Netzwerk Nordhessen:

Du hast vor einiger Zeit die Gäste unseres Netzwerks im Rahmen der Stern-Verleihung unserer Mall of Fame bekocht. Am Samstag, den 03.02.24 bist du erneut für uns am Start. Und zwar bist du für’s Essen im Rahmen des Punk-Konzerts gegen Rechts verantwortlich. Das heißt, Menschen, die dich unterstützen wollen, kommen zum Konzert ins Sandershaus, hören gute Musik und essen sich mal richtig satt…

Sami:

Ja, das wäre schön.

Netzwerk Nordhessen:

Vielen Dank für das Interview, liebe Sami.

 

Alle, die nicht zum Konzert von Armin & Dieter (THE BATES), PEPPONE und DIE STRAFE ins Sandershaus kommen wollen oder können, haben auch die Möglichkeit, Sami mit einer Spende zu helfen, ihre Wohnsituation zu verbessern, ihr ein wenig Hoffnung zu geben oder einfach nur zu zeigen: DU BIST NICHT ALLEIN!

Spenden unter dem Kennwort: „SAMI“ können direkt auf ihr Konto:

SAIEMA KAZEMI IZADMOSA

Kennwort: SAMI

Kasseler Sparkasse

IBAN: DE42 5205 0353 0002 2061 29

getätigt werden. Vielen Dank für eure Unterstützung!