Seit Gründung des Netzwerks Nordhessen im Jahr 2020 bin ich vielen Menschen begegnet. Einige davon haben sich als unglaubliche Bereicherung erwiesen – sowohl für unser Netzwerk, als auch für mich persönlich.

Einen ganz besonderen Menschen konnte ich heute begegnen, Richard Brox. Wir hatten uns gestern via WhatsApp zum Interview bei einem Kaffee verabredet und heute bereits getroffen. Eigentlich hatte ich mir einen Fragenkatalog aufgeschrieben, mit Dingen, welche ich gern von Richard wissen wollte. Aber dann kam es ganz anders und es entstand ein nettes, kurzweiliges und interessantes Gespräch abseits meiner vornotierten Fragen, welches ich an dieser Stelle wiedergeben möchte.

Überrascht und zugleich erfreut, war ich über Richards positives Bild über die Stadt Kassel und die Hilfsbereitschaft vieler Menschen.

Da wir im Laufe des Gespräches – ganz Netzwerk Nordhessen like – vom Sie zum Du gewechselt sind, habe ich das Interview entsprechend in der Du-Form geführt.

Netzwerk Nordhessen: Hallo Richard, was verbindet dich mit Kassel und wie nimmst du die Stadt wahr?

Richard Brox: In den Jahren 2004-2005 habe ich in einer betreuten Wohngruppe in Kassel gelebt und die Stadt schätzen gelernt. Besonders das Panama und die Heilsarmee sind mir sehr positiv in Erinnerung geblieben und waren mir eine wichtige Stütze.

Netzwerk Nordhessen: Verstehe ich das richtig, dass die Hilfe in Kassel besser ausgefallen ist, als in anderen Städten?

Richard Brox: Ja, absolut. Kassel sucht in Sachen Hilfe für Bedürftige hessenweit seinesgleichen. Die Hilfe, welche mir hier zuteilwurde, habe ich in dieser Form an keinem anderen Ort in Hessen angetroffen. Hier wurde ich anständig und als Mensch behandelt, was leider nicht überall so ist.

Netzwerk Nordhessen: Auch wenn’s schon eine Weile her ist, erinnerst du dich noch an konkrete Personen?

Richard Brox: Ja. Die sind mittlerweile wohl alle schon in Rente, aber ihre Namen habe ich nicht vergessen. Es waren ganz liebenswerte, herzliche und hilfsbereite Menschen. Ich denke da an Herrn Schüssler und Herrn Ludolph, Herrn Rehfeldt oder Herrn Kraft, den wir alle Papa Kraft nannten. Ohne all diese Menschen, es sind natürlich weit mehr, wäre die Armut und auch die soziale Kälte deutlich größer. Sie haben uns Obdachlose behandelt, wie jeden anderen Mensch auch. Kassel ist der soziale Leuchtturm Hessens. Dies ist auch einer der Gründe, warum ich gern hierherkomme. Ich möchte einfach Danke an die Stadt sagen und mit meinen Lesungen und meinem Engagement etwas zurückgeben.

Netzwerk Nordhessen: Wie, wann und warum hat deine „Heimkarriere“ begonnen?

Richard Brox: Meine Eltern lebten in Mannheim, waren Musiker und ich hatte 6 ältere Geschwister. Mit 4 oder 5 Jahren kam ich ins Kinderheim, weil meine Eltern nicht in der Lage waren, mich zu erziehen. Ich neigte zur Aggression und durchlief einige Einrichtungen. Von Aufsehern wurde ich ebenso misshandelt, wie auch von Nonnen. In einer Einrichtung, Schloss Stutensee bei Karlsruhe, gab es sexualisierte Gewalt. Darüber hinaus hielt man mich für schwer erziehbar.

In der Schule hatte ich Schwierigkeiten klarzukommen, da ich die deutsche Sprache nicht gut beherrschte. Dies log wohl daran, dass bei uns zuhause überwiegend amerikanisch gesprochen wurde. Dafür konnte ich aber Klavier spielen. Bereits im frühen Kindesalter beherrschte ich Werke von Chopin auf der Tastatur.

Netzwerk Nordhessen: Kommt es nur mir so vor, dass unsere Gesellschaft immer rücksichtsloser und kälter wird, oder ist dies auch dein Eindruck?

Richard Brox: So sehe ich dies auch.

Netzwerk Nordhessen: Wie lässt sich dies ändern?

Richard Brox: Ein Ansatz ist sicherlich, in der Schule Fächer wie Ethik und Moral zu lehren.

Netzwerk Nordhessen: Unbedingt! Gibt es Eigenschaften, die du an Mitmenschen besonders verabscheust?

Richard Brox: Ja, Hass und Hetze. Leider finden sich Denunzianten und Rufmörder in allen Schichten unserer Gesellschaft. Ich kann mich nicht damit abfinden, von solchen Menschen umgeben zu sein. Ich würde mich freuen, wenn Kassel ein leuchtendes Beispiel für ein Miteinander wird.

Netzwerk Nordhessen: Dies ist auch unsere Intention. Wir werden mit unseren Aktionen alles dafür tun, was in unseren Möglichkeiten steht.

Richard Brox: Das ist gut. Wir müssen in jeden Fall gegensteuern. Unsere Gesellschaft ist geprägt von innerer Kälte und wenn wir jetzt nichts dagegen tun, werden die heutigen Heranwachsenden die Henker von morgen sein.

Netzwerk Nordhessen: Wir haben uns beide in extremen Szenen bewegt – du leider unfreiwillig in der der Obdachlosen, ich, durchaus freiwillig in der Punkbewegung. In beiden Extremen spielt das Thema Wohnungsnot, oft einhergehend mit einem Leben auf der Straße, eine große Rolle. Wir sind damals zu dem Schluss gekommen, dass es besser ist, leerstehende Häuser als fremde Länder zu besetzen. Wie siehst du das?

Richard Brox: Mit der Punkbewegung hatte ich auch Berührungspunkte, habe sogar für Punkbands schon Texte geschrieben. Nina Hagen kenne ich persönlich und noch einige andere. Die Hausbesetzer sehe ich ganz und gar nicht als Kriminelle, sondern viel eher als helfende Hände, die leerstehenden Raum lebenswert machen.

Netzwerk Nordhessen: Kommen wir zurück nach Nordhessen. Wir freuen uns sehr, dass du am Freitag im Panama liest. Und ohne jetzt zu viel verraten zu wollen, am 05.05.23 bist du dann nochmal zu einer Lesung in Kassel. Dann veranstaltet von der Heilsarmee.

Richard Brox: Ja, ich freue mich sehr, den beiden Einrichtungen Panama und Heilsarmee etwas zurückgeben zu können.

Netzwerk Nordhessen: Hast du einen Traum, den du dir gern erfüllen würdest.

Richard Brox: Nachdem ich schon seit 2 Jahren ehrenamtlich in einer Hospiz arbeite, würde ich gern eine eigene Hospiz für Obdachlose gründen.

Netzwerk Nordhessen: Gibt es Orte in Kassel, die du besonders magst?

Richard Brox: Ja, ich schätze den Stadtteil Bettenhausen sehr und auch die Hessenschanze.

Netzwerk Nordhessen: Hast du Hobbys?

Richard Brox: Das Schreiben natürlich und mit meinem Freund Günter Wallraff teile ich ein gemeinsames Hobby, nämlich Schach.

Netzwerk Nordhessen: Witzig, Schach ist auch meine Leidenschaft. Ich danke dir für das nette Gespräch und freue mich, dir am Freitag im Panama bei deiner Lesung zuhören zu dürfen.

 

Nachdem wir merkten, dass die Zeit viel zu schnell vergangen ist, darüber hinaus feststellten, mit dem Schachgroßmeister Lev Gutman einen gemeinsamen Bekannten zu haben, verriet mir Richard noch, dass er gerade an seinem neuen Buch schreibt. Dieses wird ab dem 01.04.23 beim Buchhändler eures Vertrauens erhältlich sein und im Rahmen der Frankfurter Buchmesse offiziell vorgestellt.

Lesung mit Richard Brox (Begrüßung durch Ilona Friedrich) am Freitag, 31.03.2023 ab 18.00 Uhr im Panama / Soziale Hilfe e.V. – Kölnische Str. 35, 34117 Kassel